Sterneküche

Sterneküche

Paul Eder saß hinter seinem Nachtisch, einer Avocado-Creme mit Himbeermark. Zuvor hatte er einen Gin-Tomatenflan mit grünem Pesto, eine Maronisuppe und ein Steinpilz-Risotto gegessen. Seit zwei Jahren war er Veganer – trotz seiner Münchner Sterneküche.

An einem Sonntagmorgen im Februar war er aufgewacht, hatte den Kühlschrank geöffnet und plötzlich eine Abneigung gegen alle Fleisch- und Wurstwaren darin verspürt. Was war los mit ihm? Er tat es ab und griff zum Marmeladeglas.

Er hatte seinen freien Tag gehabt, sonntags war sein Restaurant in der Innenstadt von München geschlossen. Das „Kleine Paradies“, am Marienplatz gelegen, war sein ganzer Stolz, seit rund zehn Jahren besaß das kleine, aber feine Restaurant einen Michelin-Stern. Diesen Stern zu halten erforderte von ihm viel Kraft . Wann immer möglich, ging er selbst auf den Markt zum Einkaufen und besuchte seine Fleisch- und Käselieferanten persönlich. Er hatte schon immer Wert auf artgerechte Tierhaltung gelegt, da er aus Erfahrung wusste, dass das Fleisch von glücklichen Rindern, Schweinen oder Geflügel einfach besser schmeckt. Aber nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, war er oft unangemeldet auf den Bauerhöfen seiner Lieferanten im Allgäu erschienen, um die Tierhaltung zu überprüfen. Natürlich hatte es hin und wieder etwas zu beanstanden gegeben, aber im Großen und Ganzen konnte er sich auf seine Lieferanten verlassen.

Geliebte Hausmannskost trotz Sterneküche

Sonntags ließ er sich gerne von seiner Frau bekochen, einfache, regionale Hausmannskost. Am Mittag gab es nur Obatzda mit Brot, aber am Abend tischte ihm seine Frau sein Lieblingsessen auf, Schweinsbraten mit Semmelknödel und Rotkraut. Er saß hinter seinem Teller und stocherte in seinem Fleisch herum. Er schob die Fleischstücke zur Seite und hielt sich an seine Knödel und ans Kraut. „Was ist los?“, wollte seine Frau wissen. „Keine Ahnung, schon heute Morgen haben mich die Wurstwaren im Kühlschrank nicht angemacht.“

Aber dies war erst der Anfang seine Abneigung gegen Fleisch. Das Kochen im Restaurant wurde für ihn immer unerträglicher. Nach und nach konnte er auch keine Eier mehr sehen. Er wurde richtig krank, fühlte sich unwohl, wenn er nur Fleisch roch.

Das „Kleine Paradies“ und sein Stern

Privat ernährte es sich nur noch vegan und überließ das Kochen im Restaurant seiner Küchenmannschaft. Natürlich ging das auf Dauer nicht gut, das „Kleine Paradies“ ging langsam aber sicher bergab. So traf er eine schwerwiegende Entscheidung, er stellte die Küche seines kleinen Paradieses auf vegane Kost um.

Natürlich blieben zu Beginn viele Gäste weg, für die ein tierfreies Essen undenkbar war. Aber nach und nach kam eine neue Klientel ins Haus, die das vegane Essen probieren wollte und es geschah schließlich ein Wunder, er behielt seinen Michelin-Stern. Das „Kleine Paradies“ wurde das erste vegane Restaurant in Deutschland mit dem beliebten Stern.

Paul Eder löffelte seinen Nachtisch zufrieden zu Ende, als auf seinem Handy eine Whatsapp-Nachricht einging. Sie kam von Peter Steiert und war eine Einladung zu einem Abendessen in seinem Sternelokal in Zürich. Paul wunderte sich darüber, da er von Peter schon lange nichts mehr gehört hatte. Sie hatten zusammen in Paris in einem Sternerestaurant ihre Lehre absolviert. Peter konnte wohl gut kochen, aber ansonsten war er ein echter Vollpfosten. Sie waren zwar öfters nach der Arbeit zusammen auf Sauftour gegangen, aber echte Freunde waren sie nie geworden. Eigentlich konnte Paul, Peter nicht ausstehen. Anschließend hatte Peter auf einem Kreuzfahrtschiff angeheuert, während er in verschiedenen Restaurants in der Schweiz arbeitete. Sie hatten sich aus den Augen verloren.

Sterneküche in Zürich: Ex-Kumpel Peter Steiert

Natürlich wusste Paul, dass Peter vor fünf Jahren ein renommiertes Restaurant in Zürich übernommen hatte, als das Besitzerehepaar in den Ruhestand wechselte. Seine Frau hatte Vermögen, so war es ihm leichtgefallen, das Restaurant zu kaufen. Es schien gut zu laufen, wie er von anderen Kollegen wusste. Aber wieso jetzt diese Einladung, nach so vielen Jahren?

Paul war neugierig geworden und antwortete „Du weißt doch, dass ich Veganer bin? Was soll das?“
Postwendend vibrierte sein Handy. „Klar doch. Ich koch vegan für dich. Bitte komm, ich brauche deine Hilfe.“
Paul starrte immer noch auf den Text und überlegte, was das zu bedeuten hatte. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust nach Zürich zu fahren. Aber was meinte er mit Hilfe?

„Was heißt das, du brauchst meine Hilfe“, tippte er kurzerhand ein und sah sofort die zwei Haken hinter seiner Message.
„Kann ich dir nur persönlich sagen. Du kannst bei uns im Gästezimmer schlafen, bitte komm.“
Paul überlegte. Obwohl er Peter nie besonders mochte, war er nicht der Typ, der Hilfe ausschlug, wenn sie jemand brauchte.
„Okay, ich komme morgen Abend“, antwortete er spontan, obwohl er sich dabei nicht ganz wohl fühlte, warum wusste er auch nicht.

Gammelfleisch und Sterneküche?

Am nächsten Abend betrat er die „Villa Zürichberg“ mit gemischten Gefühlen. Peter hatte für sie einen Zweier-Tisch im hinteren Teil des Restaurants reserviert, wo sie ungestört saßen. Das Essen, das Peter auftischte war gut, aber nicht mit seinen eigenen Kreationen zu vergleichen. Beim Dessert, einer Mandel-Himbeer-Torte, rückte Peter endlich mit der Sprache heraus: „Ich werde bedroht. Irgendwelche Mafia-Brüder wollen mich zwingen, billiges, minderwertiges Fleisch aus dem Ostblock bei ihnen zu horrenden Preisen zu kaufen. Was das bedeutet weißt du. Eine Sterneküche kann man nicht mit Gammelfleisch betreiben.“

Mafia und Sterneküche?

Paul war perplex. „Wieso schaltest du die Polizei nicht ein?“ „Sie haben mir gedroht, wenn ich zur Polizei ginge, meiner Frau etwas anzutun.“ „Scheiße. Aber wie kann ich dir helfen?“
„Du hast dein Restaurant auf vegan umgestellt. Ich habe mir überlegt, mein Restaurant in ein vegetarisches umzuwandeln. Dabei kannst du mir helfen.“
„Und du meinst das organisierte Verbrechen spielt da so einfach mit? „Was wollen die denn machen, wenn ich kein Fleisch mehr anbiete?

Nach ein paar Absacker in seinem Haus, seine Frau war bei ihrer Mutter zu Besuch, fiel Paul ins Gästebett, konnte aber nicht schlafen. Immer wieder ging ihm diese Drohung durch den Kopf. Natürlich konnte er ihm mit entsprechenden Rezepten und seiner Erfahrung helfen, aber löste dies das Problem?

Am Morgen diskutieren sie noch über die Drohung und Paul versuchte ihn erneut zu überzeugen, Anzeige zu erstatten. „Nein, das geht nicht, ich habe Angst um meine Frau. Ich glaube auch, dass ich nicht der Einzige bin, der hier unter Druck gesetzt wird. Vielmehr vermute ich, dass nicht nur Gaststätten, sondern auch Supermärkte betroffen sind.“
Paul verließ das Haus und versprach Peter, ihn in dieser Sache soweit er konnte zu unterstützen.

Mafia-Drohung, ist das möglich?

Im Zug packte er seinen Laptop aus und nutzte sein Handy als Hotspot. Er googelte und versuchte mehr Informationen zu erhalten, aber er fand nichts. Das machte ihn stutzig. Konnte es sein, dass hier irgendwelche Russen, Bulgaren, Rumänen oder sonstige Kriminellen, die Zürcher Restaurants und Supermärkte dermaßen unter Druck setzten – und nichts gelang an die Öffentlichkeit? Keine Gerüchte, keine Hinweise, einfach Nichts.
Er entschloss sich, einen alten Schulkameraden, und inzwischen Hauptkommissar bei der Münchner Kripo, Dieter Rößler, anzurufen.
„Hallo Dieter, hier ist Paul Eder. Hast du fünf Minuten Zeit?“ „Ja, aber mach‘s kurz, ich habe gleich eine Besprechung.“ Paul fragte ihn, ob er Beziehungen zur Zürcher Polizei hätte und ob er ausfindig machen könnte, ob bezüglich Ost-Mafia, da etwas im Busch sei.
„Okay, ich schau mal was ich für dich tun kann, ich melde mich.“

Ein Freund hilft

Zuhause angekommen, recherchierte er immer noch auf seinem Mac. Er schaute sich die Liste der Zürcher Restaurants an und war versucht, dort anzurufen, um Näheres in Erfahrung zu bringen, als sein Handy bimmelte.

„Hier Dieter. Habe mal bei einem Kollegen in Zürich nachgehakt, aber denen ist Nichts bekannt. Wenn so etwas Weitreichendes aktuell wäre, wüssten sie davon, dafür hätten sie ihre Informanten. Also komisch, das mit deinem Bekannten.“
„Danke, mal, hast was gut bei mir.“

Er schaute die Restaurants in Zürich nochmals genauer an und entdeckte per Zufall ein veganes Restaurant der gehobenen Klasse. Er ging auf die entsprechende Webseite und nahm sich das Lokal unter die Lupe. Es wunderte ihn, dass er davon noch nichts gehört hatte. Normalerweise kennt man als Besitzer eines veganen Sternelokals alle veganen Restaurants in der näheren und weiteren Region, insbesondere, die mit besserer Küche. Er ging aufs Impressum und erstarrte. Verantwortlich für den Inhalt der Webseite: Peter Steiert.

So ein Scheißkerl. Von wegen Ost-Mafia und Bedrohung. Die ganz Geschichte war erstunken und erlogen. Dieser Betrüger wollte nur sein Knowhow und seine Rezepte klauen, um selbst ein veganes Sternelokal aufzuziehen.

Sollte er Anzeige erstatten? Aber war das überhaupt in der Schweiz oder in Deutschland strafbar? Er war wütend und frustriert über seinen alten Kumpel, der versucht hatte, ihn auf übelste Weise reinzulegen.

Er nahm sein Handy zur Hand und tippte: „Arschloch. Koche Fliegenpilz-Risotto in deinem neuen Lokal und schmecke es gut ab, das hilft.“